Treffen sich das Private, das Öffentliche, das Politische und die Kunst. Kommt ein Flamingo dazu…

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Treffen sich Tanz, Musik, Performance, Film, Literatur und Konzeptkunst. Kommen rauchende, kranke, geflüchtete, Sport treibende, alte, pflegende, kriechende, postende, wohnende Menschen dazu…

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Neue Verordnungen weisen den Schnecken den Weg in einen neuen Freiraum.

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Freiheit liegt jenseits eines geordneten Festivalprogramms. Ein Festival riskiert sich.

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Die Lage bleibt vorhersehbar unklar. Um die Ungewissheit ordnet sich eine neue Realität.

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Ungewiss sind die Orte und Zeiten eines neuen Ausbruchs: erlaubte Ansammlungen von rauchenden, kriechenden oder tanzenden Menschen.

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Ungewiss ist, wann und wo Sie zum Publikum werden. Oder zu Mitwirkenden. Unvermutet.

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Die Wirtschaft wächst nicht mehr. Die Kunst irritiert nicht mehr. Stuttgart ist (sich) nicht mehr sicher. Zeit für neue Verbindungen, neue Verwandtschaften, neue Wege. Zeit für eine pandemische Utopie!

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Mund-Stück 2

Nata und Sam waren im Publikum, als die Künstler*innen Ant Hampton und Rita Pauls MUND-STÜCK am Theater Rampe performten. Beim Gespräch danach reagierten sie spontan auf die Einladung der Künstler*innen, eine eigene Version von MUND-STÜCK zu erarbeiten. Und sich damit, wie Rita und Ant vor ihnen, der deutschen Sprache zu nähern. Also reisten Nata und Sam eine Woche lang durch Deutschland. Mit rudimentären Deutschkenntnissen und Audiorekorder im Gepäck. Mit dem wenigen Deutsch, das sie können, stellten sie den Menschen, denen sie begegneten, eine Frage: »Was, denken Sie, sollte einmal gesagt werden?« Sie erklärten ihnen, dass sie die Antworten aufnehmen, um sie später auswendig zu lernen und sich auf diese Weise mit der Sprache vertraut machen. Nata und Sam entwickeln aus diesen Texten ihre Performance, mit der sie zum ersten Mal auf einer Bühne stehen werden.

Idee & Konzept
Ant Hampton
Rita Pauls

 

Performance & Kreation
Nata und Sam

 

Ko-Kreation 
Siri Thiermann
Kati Trinkner

 

Mittwoch, 22. Juli, 18:00 Uhr + im Anschluss Publikumsgespräch

Donnerstag, 23. Juli, 18:00 Uhr

Freitag, 24. Juli, 19:00 Uhr

Theater Rampe

Mehr Informationen

Performance von Ant Hampton und Rita Pauls in einer neuen Version von Nata und Sam.

 

Der britische Performancekünstler Ant Hampton und die argentinische Autorin und Schauspielerin Rita Pauls reisten gemeinsam per Anhalter kreuz und quer durch Deutschland. Mit dem wenigen Deutsch, über das sie verfügten, fragten sie die Menschen, die sie mitnahmen: »Was müsste Ihrer Meinung nach mal gesagt werden?«

 

In der originalen Performance Mund-Stück werden diese Antworten aus dem Mund von Ant und Rita wiedergegeben – wortwörtlich, mit allen Atem- und Denkpausen, dem Klang der Stimmen und den Akzenten. Bereits zu Beginn ihrer Arbeit stellten Ant und Rita fest, dass die Performance vor allem Fragen nach Migration und gesellschaftlicher Erwartung aufgreifen würde. Sie planten deshalb die Wiederholung des Projekts von Künstler*innen mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Hintergründen, deren Motivation, sich mit einem Land zu beschäftigen und dessen Sprache zu erlernen, daher als noch dringlicher erscheint. Das Projekt Mund-Stück stellt das Verständnis von Anpassung an eine Kultur in erster Linie als eine unterwürfige Handlung infrage.

 

Nata und Sam haben eine Aufführung von Mund-Stück in Stuttgart besucht und waren von der Idee begeistert, ihre eigene Version der Performance zu realisieren, nach dem gleichen Protokoll durch Deutschland zu reisen und allen Menschen, denen sie unterwegs begegnen, die gleiche Frage zu stellen: »Was müsste Ihrer Meinung nach mal gesagt werden?« Mit rudimentären Deutschkenntnissen und Audiorekorder im Gepäck brachen sie auf und ließen sich von den Menschen, die sie trafen, das Land zeigen und darüber erzählen. Anschließend lernten Nata und Sam die Antworten auswendig, wörtlich, und nun sprechen und singen sie uns die Antworten zurück.

 

Eine Koproduktion von Theater Rampe und DIE IRRITIERTE STADT,
gefördert durch das Kulturamt der Landeshauptstadt Stuttgart.

Idee & Konzept
Ant Hampton
Rita Pauls

 

Performance & Kreation
Nata und Sam

 

Ko-Kreation 
Siri Thiermann
Kati Trinkner

Für MUND-STÜCK reisten der britische Performancekünstler Ant Hampton und die argentinische Schauspielerin Rita Pauls per Anhalter eine Woche lang kreuz und quer durch Deutschland. Mit dem wenigen Deutsch, das sie konnten, stellten sie den Menschen, die sie mitnahmen, die Frage: „Was müsste Ihrer Meinung nach mal gesagt werden?“ 2019 führten sie die daraus entstandene Performance am Theater Rampe auf. Sam saß im Publikum. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Nata nahm er den Vorschlag der Künstler*innen begeistert auf, die Idee zu adaptieren und MUND-STÜCK 2 zu entwickeln. Ein Gespräch zwischen vier Reisenden über ihren Versuch, ein Land zu ergründen, dem sie sich verbunden fühlen, ohne die Sprache zu beherrschen.

 

ANT: Beim Zusammenstellen unserer Version von MUND-STÜCK in Leipzig überlegten wir schon sehr früh, die Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen auf drei Dinge zu richten. Auf den klar verständlichen Inhalt des Texts, als das, was gesagt wird. Auf unsere Arbeit, die die Reise bedeutete, und die auch das Zuhören, Lernen, Wiederholen, das Absorbieren der Worte und auf das Sprechen im Hier und Jetzt. Und drittens waren wir uns unserer Komplizenschaft bewusst – unserer Beziehung, des gegenseitigen Vertrauens und Beistands, die es uns erst ermöglichten, dieses Projekt durchzuziehen. Für mich ist letzteres ein entscheidender Unterschied – also die Beziehung von Rita und mir, und die zwischen euch, Nata und Sam – und welche Unterschiede das für die beiden Versionen von MUND-STÜCK bedeutet.

 

RITA: Es hat lange gedauert, bis wir in der Lage waren, diese drei Ebenen zu unterscheiden! Wir sind völlig in eine bauchrednerisch-mediale Erfahrung eingetaucht. Ich denke, es braucht Zeit sich bewusst zu machen, dass man mit lebendigem Material arbeitet, in unserem Fall mit einer großen Bandbreite menschlicher Stimmen. Irgendwie sind wir vier dem Zauber der Klänge verfallen. Ich denke auch, dass wir von unserem Background profitieren konnten. Wenn ich Ant und mich von außen betrachte, wie wir mitten in Deutschland auf einer Straße umgeben von Feldern stehen, dann wirkten wir geradezu wie die Karikatur des*der idealen Anhalter*in. Als steckten wir in Kostümen, die uns für dieses Projekt legitimierten und gleichzeitig schützten. Wir wurden von den Fahrer*innen nicht als bedrohlich empfunden, was vieles erst möglich gemacht hat. Ist es euch auch so gegangen, dass ihr euch von außen betrachtet habt, wie ihr ohne klares Ziel unterwegs ward und auf fremde Menschen zugegangen seid? Wie habt ihr euch dabei gefühlt?

 

NATA / SAM: Um ehrlich zu sein waren wir als Kinder sehr schüchtern, aber in diesem Fall waren wir stets zuversichtlich. Von klein auf träumten wir immer davon, Künstler zu werden. Während dieses Projekts, dieser Reise, hatten wir alles unter Kontrolle. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass wir allein unterwegs waren und Menschen angesprochen haben, um sie zu befragen.

 

ANT: Was ist mit eurem Status als Einwanderer? Wie hat das euer Selbstbild während der Reise geprägt, das Rita angesprochen hat?

 

NATA / SAM: Eigentlich haben wir uns nicht als Einwanderer gefühlt, sondern immer als Reisende gesehen. Ansonsten betrachten wir uns als dem Planeten zugehörig, da spielt es keine Rolle, wo in der Welt wir uns befinden. Auf dieser Reise fühlten wir uns ganz wie Künstler.

 

ANT: Das ist schön zu hören! Es fällt mir auf, dass “Einwanderer” oder “Flüchtling” mit der Vorstellung einer Opferrolle verknüpft ist. Natürlich kann das sein, die meisten Geflüchteten waren oder sind immer noch Opfer, aber diese Opferrolle kann zu einer Falle werden. Aus westlicher Sicht messen wir die Menschlichkeit des anderen anhand zweier Faktoren: ihr Neugier/Wissbegierde und ihr Humor. Diese verleihen unserer Vorstellung von der Persönlichkeit eines Menschen Größe und Tiefe. Wird jemand als Opfer betrachtet, flacht unsere Vorstellung von der Person ab, als wäre er*sie nur Opfer und nichts anderes. Euer Sinn für Humor und eure Neugierde waren sowohl während der Reise als auch bei der Aufführung zu spüren! Rita und ich wurden ja, wie sie es beschreibt, als “nicht bedrohlich” eingestuft. Habt ihr ein Gefühl dafür, wie ihr auf andere gewirkt habt, wenn ihr sie angesprochen habt?

 

NATA / SAM: Nun, eine Dame fragte uns sogar, ob wir Schauspieler seien – und das, bevor wir ihr von unserer Arbeit erzählten. Es war interessant, die Aufmerksamkeit der Menschen um uns herum zu spüren. Einige kamen von sich aus auf uns zu. In Frankfurt zum Beispiel fragten wir eine Frau, was ihrer Meinung nach einmal gesagt werden sollte, aber sie wusste keine Antwort; stattdessen kam eine andere auf uns zu und fragte, ob sie uns helfen könne. Also stellten wir ihr unsere Frage. Und dann war da noch der obdachlose Mann, der sich im Burger King zu uns setzte. Abgesehen von den Leuten, die wir interviewten, gab es viele Menschen, die sehr freundlich und bereit waren, mit uns zu sprechen. Im Motelrestaurant in Bonn war der Umgang sehr locker, fast schon vertraut, obwohl man uns dort gar nicht kannte. Die Menschen fühlten sich sicher. In Mannheim baten wir eine Frau um Hilfe und sie begleitete uns bis zu unserer Unterkunft – obwohl es nachts, niemand in der Nähe und das Motel einen Kilometer entfernt war. Die meisten Leute, die wir ansprachen, beantworteten unsere Frage bereitwillig. Das gab uns Mut, weiterzumachen!

 

RITA: Ich bin neugierig, was das Projekt euch noch für Überraschungen beschert hat. Was war im Rückblick am eindrucksvollsten? Wie war eure Vorstellung, bevor ihr euch auf das Projekt eingelassen habt und wie seht ihr es jetzt, wo ihr eure eigene Version auf die Bühne bringt?

 

NATA / SAM: Wir haben eure Performance gesehen, also kannten wir natürlich den Plan. Und wir haben euch schon früh von unseren Ideen erzählt – also Musik, Gesang, Tanz und alle möglichen anderen Dinge miteinzubeziehen! Aber wir hatten es uns ganz anders vorgestellt.

 

ANT: Ich hoffe, ihr wart nicht enttäuscht?

 

NATA / SAM: Natürlich nicht! Wie gesagt, es war eine schöne Erfahrung. Als wäre es keine Schauspielerei, keine Show, sondern real. Man zeigt viel von sich selbst, indem man etwas tut, was man normalerweise nicht tun würde. Wie sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen, mit einem Partner zu arbeiten, den Text chorisch zu sprechen usw. Das Ergebnis gefällt mir viel besser als unsere ursprüngliche Idee einer großen Show. Vielleicht beim nächsten Projekt. Wir haben unsere Ideen auch wegen der Texte verworfen, denn es sind nicht die Worte von jungen Leuten; der Großteil stammt von älteren Menschen. Ihre Anliegen sind ernst, dringlich. Die Frau, die “Scheiß auf Nazis” gesagt hat, war 26 Jahre alt – sie war die Jüngste. Die anderen waren eher 60 bis 80 Jahre alt.

 

ANT: Ich hatte das Gefühl, dass unser gestriges Gespräch nach der Probe wirklich wichtig war. Du, Nata, hast irgendwann ausgesehen, als wärst Du nicht so glücklich und ich fragte, warum. Du sagtest: “Ich fühle mich nicht sicher.” Ich glaube, Du meintest “Ich fühle mich nicht unterstützt.” Richtig?

 

NATA / SAM: Genau.

 

ANT: In diesem Moment wolltet ihr zurück zu eurer ursprünglichen Ideen mit viel Licht, Blumen, da ihr euch ungeschützt, exponiert gefühlt habt und wolltet deshalb von euch ablenken, indem das Publikum auf andere Dinge achtet, nur nicht auf euch.

 

NATA / SAM: – Ja, aber nach unserem Gespräch und den Ideen, die du uns mitgegeben hast, fühlte ich mich wie yeahhh! MUND-STÜCK 2 ist keine Show, sondern etwas Unverfälschtes. Wir brauchen keine Blumen oder Leute, die für uns tanzen oder so… Es ist ehrlich, ganz natürlich.

 

ANT: Wir nennen so etwas Spektakel, aber ich glaube, darum geht es hier nicht. Gestern ist uns irgendwann klargeworden: Wir machen Politik. Es gibt Theater, bei dem es um Politisches geht. Das, was wir hier tun, ist politisch. Ihr macht Politik.

 

NATA / SAM: Wir reden auch über Politik, über Veganismus, über Menschlichkeit, über viele Dinge…

 

ANT: Ja, das stimmt, ihr sprecht über diese Dinge. Die Art und Weise, wie Ihr das tut – das ist real, ein echtes Risiko. Wenn ihr einen kleinen Fehler macht, wir sehen, wie ihr innehaltet, atmet und es noch einmal versucht, dann wird klar, dass das was auf der Bühne passiert echt ist, dass ihr keine professionellen Imitatoren seid. Genauso wie Rita und ich. Obwohl Rita eine professionelle Schauspielerin ist, imitiert sie keine Leute, und schon gar nicht in einer Sprache, die sie nicht spricht! Für uns war das ebenso neu wie für euch. Wir teilen diese ungewöhnliche Erfahrung!

 

NATA / SAM: Ja, das ist eine neue Erfahrung für uns, und es ist toll. Allerdings wurde mir gestern klar, dass diese Arbeit auch etwas ist, was wir schon als Kinder getan haben.

 

ANT / RITA: Wirklich!?

 

NATA / SAM: Ja, allerdings nicht auf Deutsch, sondern auf Arabisch, als wir in der Schule das heilige Buch des Islam, den Koran, laut lesen mussten, und zwar alle gleichzeitig, Wort für Wort. Eigentlich ist das wie bei MUND-STÜCK, nur die Sprache ist anders. Und wir rezitieren nicht den Koran, sondern die Meinung des Volkes.

 

ANT / RITA: Habt Ihr das Arabische verstanden?

 

NATA / SAM: Nein. Wir hatten die Übersetzung, aber wir wussten nicht, was die einzelnen Worte bedeuten.

Nata und Sam

Die beiden Brüder Nata und Sam wurden als Kinder afghanischer Eltern im Jahr 1994 im Iran geboren. Seit fünf Jahren leben sie in Deutschland. Sie beschäftigen sich schon ihr Leben lang mit Musik, Poesie und Geschichte.

© Nata und Sam

Ant Hampton

Der britische Künstler Ant Hampton wurde 1975 geboren. Er ist Gründer von Rotozaza (1998-2009), einem Projekt, das Performance, Theater, Installationskunst, Intervention und schriftbasierte Arbeiten umfasst. Gemeinsam mit Silvia Mercuriali und anderen Künstler*innen realisierte er in verschiedensten Ländern und Sprachen mehr als 20 Rotozaza-Produktionen, die meisten davon mit Laien-Performer*innen, die in bewusst ungeprobten Performance-Situationen agierten.

2007 begann Ant Hampton, das Publikum in seine Stücke miteinzubinden und tourt seitdem international mit seiner Autoteatro-Serie. Seine weitere Arbeit, die er zusammen mit Greg McLaren gestaltet unter dem Titel »The Other People« (La Otra Gente) beinhaltet die Erkundung von »live portraiture«. Dabei handelt es sich um sogenannte »strukturierte Begegnungen« mit Personen aus einem theaterfernen Umfeld.

 

Rita Pauls

Rita Pauls wurde 1993 in Buenos Aires geboren. Sie studierte an der Universidad de Buenos Aires Literaturwissenschaft und Philosophie mit dem Fokus auf Literaturtheorie. Als Performerin war sie in Produktionen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt zu erleben: »The Natural State« (Regie: Paula Salomón, ARG), »Multitude« (Regie: Federico León, ARG), »Second Time« (Regie: Dora García, Spanien) und »Fantasía soneto después de una lectura de (dance)« (Regie: Dudú Alcón Quintanilha, Brasilien) beschäftigten sich mit der Sprache, der Erschaffung und Erfindung von Intimität und der Bewältigung nicht-kontrollierter performativer Situationen.

Aktuell ist Rita Pauls Mitarbeiterin des Forschungsprojekts »The Bardo, Soft Eyes«, geleitet von der argentinischen, experimentell arbeitenden Dramaturgin Paula Salomón. Darüber hinaus gibt Rita Pauls Workshops (Lyrik, Literatur, Französisch als Fremdsprache) in Räumen jenseits der etablierten Kunstszene von Buenos Aires, darunter sind psychiatrische Kliniken, Privathäuser und freie Kulturzentren. Rita Pauls lebt als Performerin und Autorin in Buenos Aires.